Der Berg ruft

Der Berg ruft
Autor: Benjamin Federmann

Der Klöntalersee in 848 Metern Meereshöhe im Schweizer Kanton Glarus inspirierte den Züricher Maler und Kupferstecher Conrad Meyer anno 1655 zur Schaffung des ersten modernen Hochgebirgspanoramas. Der einst durch einen Bergsturz  entstandene  See  bildet  bis  heute eine atemberaubende Kulisse für Urlauber und Künstler gleichermaßen.

Doch nicht nur Maler und Schriftsteller haben das Potenzial des 3,3 Quadratkilometer großen Gewässers erkannt, das durch die umliegenden Gebirgsflüsse, vornehmlich die Klön, gespeist wird. Bereits 1908 wurde der See am Ostende zwischen Rhodannenberg und Sackberg durch einen Erdwall aufgestaut, um Energie für die umliegenden Dörfer und Unternehmen zu erzeugen.

Durch den heute 220,0 Meter langen und 21,5 Meter hohen Erdschüttdamm fasst er ein Volumen von 39,8 Mio. Kubikmetern Wasser, die bei Bedarfsschwankungen und zu Spitzenzeiten in Elektrizität umgewandelt werden können.


AUS DER LUFT INS WASSER

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Aufgrund ihres richtungsweisenden Messverfahrens, das Hydrografie und Photogrammetrie kombiniert, erhielt die erfahrene IngenieurTeam GEO GmbH den Auftrag zur Vermessung des Klöntalersees. Zum Einsatz kamen das Peilboot „Surveyor“,  das UAV (Unmanned Aerial Vehicle) Aibot X6 sowie modernste Positionierungstechnologien von Leica Geosystems. Ziel war die Erstellung eines exakten 3D-Modells für die auf 2,5 Zentimeter genaue Berechnung und Simulation des Fassungsvermögens des Stausees.

Nach gründlicher Planung und Vorbereitung und dem Einholen der erforderlichen Genehmigungen reisten die Messtechniker mit ihrem Peilboot zu dem über 220 Kilometer entfernten Gewässer, um bei einem regulären Wasserstand die Sohlensituation des Sees zu kartieren. Alle Messungen wurden im Schweizer Landeskoordinatensystem LV03 erfasst.

Das sechs Meter lange Peilboot stach mit dem Auftrag in See, mithilfe seines Reson SeaBat 8101 Fächerecholots auf 172 vorab geplanten Aufzeichnungslinien detaillierte Daten von der Topografie am Grund des Sees zu erfassen. Dazu sendet das Echolot in einem Winkel von 150 Grad Schallimpulse aus und errechnet durch die Messung der Laufzeit des Echos die Wassertiefe. Bei 101 Messstrahlen pro Ping und einer Frequenz von 30 Pings pro Sekunde erhalten die Hydrografen ein hochpräzises Abbild des Untergrunds mit 3.030 Einzelpunkten pro Sekunde. Dank einer Überlappung von einem Drittel der Messfläche wird zudem sichergestellt, dass bei der Messung eine Genauigkeit von unter zehn Zentimetern erreicht wird.

Vor Beginn der Datenerfassung muss das Messsystem jedoch genau kalibriert werden, um Störeinflüsse zu minimieren und korrekte Ergebnisse zu gewährleisten. Die Sensorik wird dabei so eingestellt, dass sowohl lineare Bewegungenals auch Drehungen um die Achsen des Bootes die Messwerte nicht verfälschen. Um sich ein genaues Bild vom Grund des Sees machen zu können, müssen die Hydrografen außerdem die Wasserschallgeschwindigkeit in die Berechnung mit einbeziehen, die sich in Abhängigkeit zu Temperatur und Schwebeteilchen im Wasser ändert und gerade in stehenden Gewässern einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Messung hat.

Nachdem das Peilboot zu Wasser gelassen und kalibriert war, unternahm die Crew eine erste Erkundungsfahrt, um sich mit den Gegebenheiten des Sees vertraut zu machen und erste Sonardaten von seiner Sohle zu sammeln. Entlang der geplanten Linien und unter Berücksichtigung der Tiefe und Struktur des Sees erfassten die Hydrografen Daten zur Erstellung einer Punktwolke bestehend aus 134.837.653 X-Y-Z-Koordinaten. Insgesamt benötigte die Besatzung fünf Tage zur Erfassung des gesamten Klöntalersees mit einer Fläche von 2.855.204 Quadratmetern.


GEHT NICHT GIBT‘S NICHT 

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Nicht nur wechselnde Witterungsverhältnisse und klirrende  Kälte  brachten  Mensch  und  Maschine an ihre Grenzen, auch der südlich des Sees gelegene vergletscherte Gebirgsstock Glärnisch stellte die Technik auf eine harte Probe. Mit über 2.900 Metern Höhe wirft das Massiv buchstäblich seinen Schatten voraus. Angesichts der steil abfallenden Wände in unmittelbarer Nähe am Südufer des Sees rechneten die Fachleute mit einer möglichen Verschattung  des GPS-Signals. Geplant war, in einem in einem solchen Fall die Position des Boots mithilfe von an Nord- und Ostufer des Sees aufgestellten Tachymetern zu bestimmen. Aufgrund der langgezogenen Nierenform des Sees wäre die genaue Referenzierung der Daten des Boots eine erhebliche  Herausforderung gewesen.

Doch durch die auf der „Surveyor“ angebrachte GNSS-Antenne Leica Viva GS16 ließen sich die mit dem Fächerecholot erfassten Daten auf wenige Zentimeter genau ihren Koordinaten zuordnen. Und mit der integrierten SmartLink-Technologie wäre die Besatzung selbst dann noch in der Lage gewesen, hochpräzise Messwerte zu erfassen und GNSS-Korrekturdaten zu empfangen, wenn kein GSM-Netz zur Verfügung gestanden hätte. 550 Kanäle, eine hochentwickelte Vermessungs-Engine und modernste RTK-Algorithmen ermöglichen eine präzise Zuordnung der Messergebnisse sowohl der Daten des Aibot X6 als auch des Peilboots.

Generell sind Uferbereiche mit dem Fächerecholot schwierig zu erfassen. Darüber hinaus ist die Gefahr einer Beschädigung des teuren, empfindlichen Sensors im flachen Wasser in Ufernähe groß. Um dennoch exakte Messwerte für die Volumenberechnungen und Simulationen zu erhalten, griffen die Messtechniker für die photogrammetrische Erfassung des Ufers und der Böschungen auf das Aibot X6 zurück.


UNTERSTÜTZUNG AUS DER LUFT

Um eine Überlappung zwischen den vom Boot und aus der Luft durchgeführten Messungen der Uferbereiche zu gewährleisten, mussten die Flüge mit dem Aibot zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem der See einen niedrigeren Pegelstand aufwies. Nach der jahreszeitbedingten Absenkung des Wasserstands des Klöntalersees, wurde die Vermessung aus der Luft mit dem Hexakopter von Aibotix in Angriff genommen.

IngenieurTeam GEO führte die Flugplanung unter Zuhilfenahme der Software Aibotix AiProFlight durch. Außerdem mussten die Wegpunkte für die folgenden Flüge und Vermessungsparameter wie Flughöhe, Bodenauflösung, Fluggeschwindigkeit und Überlappung der Daten festgelegt werden. Um die genauestmögliche Vermessung des oftmals steilen und verwinkelten Terrains der Ufergebiete sicherzustellen, beschlossen die Fachleute, jeden Bereich mehrfach abzufliegen und so die Aussagekraft der Daten zu erhöhen. Nach dem Abschluss der Flugplanung am PC und der Hinterlegung der Wegpunkte im internen Speicher des Aibot X6 wurden die Bodenkontrollpunkte  rund um den See mit der Viva GS16 eingemessen. Anschließend konnte mit der Flugdatenerfassung begonnen werden.

Einmal mehr zeigte sich dabei, dass die Vermessung eines alpinen Stausees ganz besondere Herausforderungen für Technik und Anwender bereithält. Neben Durchschnittstemperaturen von unter null Grad Celsius, raschen Wetterumschwüngen und tiefhängenden Wolken machte das steil abfallende Bergmassiv am Südufer des Sees den Messtechnikern das Leben schwer. Durch die Steilwände und den dichten Bewuchs des Ufers musste der Aibot X6 auf einem Boot gestartet und gelandet werden. Zusätzlich zu der empfindlichen, aber zuverlässigen Technologie war dabei auch das Geschick und die ruhige Hand des Piloten gefragt.

Trotz teilweise widriger Umstände gelang es dem Team aus Karlsruhe, auf 18 Flügen hochpräzise Daten zu sammeln, sodass der trocken liegende Uferstreifen mit einer Gesamtlänge von über 12 Kilometern binnen zwei Tagen komplett vermessen war. Durch eine Fluggeschwindigkeit des UAV von vier Metern pro Sekunde und die Erfassung eines Bilds alle zwei Sekunden konnte sichergestellt werden, dass die an der fliegenden Multisensor- Plattform angebrachte Kamera hochgenaue Messdaten lieferte.

„Infolge der raschen Verfügbarkeit der mit dem Aibot X6 gemessenen Daten konnten wir die ersten Ergebnisse bereits vor Ort auswerten“, erklärt Benjamin Busse, der UAV-Pilot und Geomatikspezialist von IngenieurTeam GEO.


HÖCHSTE GENAUIGKEIT DURCH DIE KOMBINATION MEHRERER TECHNOLOGIEN

Wie schon bei den mit dem Peilboot erfassten Messwerten war auch bei den UAV-Daten die präzise Referenzierung von größter Bedeutung. Zu diesem Zweck setzten die Experten von IngenieurTeam GEO das RTK-/GNSS-Modul Aibot HP GNSS 2 (L1/L2) und die Viva GS16 ein. Die beiden Geräte ergänzten sich ideal und ermöglichten selbst unter diesen schwierigen Verhältnissen eine Georeferenzierung mit einer Genauigkeit von ein bis drei Zentimetern.

Nach Abschluss der Messungen begannen die Vermessungsingenieure mit der Weiterverarbeitung der gesammelten Daten. Die mit dem Fächerecholot aufgenommenen Punktwolken mussten zur manuellen Bearbeitung und Bereinigung in die Peilsoftware PDS 2000 eingespeist werden. Um die Ufergebiete detailgenau in die Volumenkalkulation einfließen zu lassen, wurden alle 4.400 hochaufgelösten Bilder des Aibot X6 Multikoptersin Aibotix AiProFlight importiert und dort mit den Koordinaten aus der Logdatei des UAV versehen. Danach wurden die georeferenzierten Daten in der Nachbearbeitungssoftware AgiSoft PhotoScan Pro bearbeitet, um ein 3D-Modell sowie eine Punktwolke zu erstellen. Anschließend wurden die beiden 3D-Modelle in der Autodesk-Applikation AutoCAD® Civil 3D zusammengeführt, um ein exaktes Modell der Gegebenheiten des Sees zu generieren.

Anhand der Daten aus diesem Modell erstellten die Ingenieure für den Kunden eine präzise Karte mit Höhenlinien. Durch die Kombination zweier völlig unterschiedlicher Vermessungsverfahren für große, anspruchsvolle Gebiete und das draus resultierende präzise Datenprodukt gelang es den Ingenieuren, eine schwierige Vermessungsaufgabe – unterstützt von modernsten Messtechnologien – mit Bravour zu meistern. Auf der Grundlage der mit Peilboot und UAV erfassten Daten konnte IngenieurTeam GEO  dem Wunsch des Kunden nach einem detaillierten 3D-Modell und einem mehrere Meter langen Ausdruck eines Lageplans mit Höhenschichtlinien nachkommen.

„Die Kombination der Messergebnisse unseres hochmodernen Fächerecholotsystems und des Aibot X6 hat es uns erlaubt, sehr präzise Daten sehr schnell zu generieren“, resümiert Busse zufrieden.

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