Erdbebenschutz für Architekturjuwele an der Seidenstraße

Erdbebenschutz für Architekturjuwele an der Seidenstraße
Autor: Dr. Shakhzod Takhirov

Bauingenieure sind auf der ständigen Suche nach zerstörungsfreien Messverfahren zur Bewertung des strukturellen Zustands von Gebäuden. Die High-Definition-Surveying- (HDS) oder Laserscanning-Technologie von Leica Geosystems füllt diese Lücke.

Ein Forschungsteam bestehend aus Mitarbeitern des Structures Laboratory der University of California in Berkeley (einem Forschungslabor für Bauwerksprüfung und numerische Analyse) sowie von Miyamoto International (einem auf erdbebensichere Strukturen spezialisierten Bauunternehmen aus den USA), Smart Scanning Solutions, LLC (einem 3D-Scanning- und Modellierungsdienstleister aus Usbekistan) und BNZ (der Leica Geosystems Vertretung in Usbekistan) hat HDS-Technologien zur Erfassung von Bauwerken eingesetzt, die zum kulturellen Erbe der Menschheit entlang der historischen Seidenstraße in Usbekistan zählen. Mehrere Gebäude wurden dokumentiert und auf ihre Anfälligkeit für erdbebenbedingte Schäden untersucht.


ALS ERSTES: ABSCHÄTZUNG DES NATÜRLICHEN VERFALLS

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Als repräsentatives Beispiel für die zahlreichen schützenswerten Baudenkmäler wurde das Ensemble am Registan-Platz im Herzen der antiken usbekischen Stadt Samarkand ausgewählt. Der Registan-Platz wird gesäumt von den drei Medresen Ulugh Beg (1417 bis 1420), Sher-Dor (1619 bis 1636) und Tilya-Kori samt Moschee (1646 bis 1660) sowie dem Tschorsu-Basar aus dem 18. Jahrhundert mit seiner charakteristischen Kuppel.

Erdbeben, extreme jahreszeitbedingte Temperaturschwankungen, der normale altersbedingte Verfall und die Wirtschaftskrisen des 18. und 19. Jahrhunderts haben dem Ensemble schwer zugesetzt. In den Jahren 1923 und 1932 wurden einige Instandsetzungsmaßnahmen ergriffen und die Minarette begradigt, doch größere Restaurierungsversuche wurden erst in den vergangenen Jahren unternommen.

Das Ensemble wurde von über 70 Standorten aus mit einer Leica ScanStation vermessen. Neben den kompletten Dimensionen aller Bauwerke wurden mit den Scans auch alle Details der Monumente erfasst: Form und Abmessungen der Fliesen, ihre Positionen an den Gebäuden, etwaige Fehler oder Beschädigungen sowie die geometrischen Formen der Portale und Fassaden insgesamt. Um sämtliche Details genau abzubilden, wurden alle Scans mit einer Punktdichte von zweimal zwei Millimetern ausgeführt.

Die Scandaten lieferten äußerst wertvolle Ergebnisse, die eine fundierte Entscheidungsgrundlage für weitere Sanierungstätigkeiten an diesem Kulturgut in einer erdbebengefährdeten Region Zentralasiens bilden. Zur Generierung von Finite-Elemente-Modellen komplexer Geometrien aus der Punktwolke wurde die Leica Cyclone-Software verwendet.

„Durch die extrem hohe Erfassungsgeschwindigkeit der ScanStation konnten wir die für eine gründliche Untersuchung des Zustands der Bauten erforderlichen Daten in kürzester Zeit sammeln“, erklärt Liliya Myagkova, die Geschäftsführerin von Smart Scanning Solutions. „Die einfache Registrierung mit der Cyclone- Software erlaubte dem Team außerdem eine rasche Verarbeitung und Auswertung der Punktwolken.“
 
Die Punktwolke eines der schiefen Minarette bot genauen Aufschluss über die Neigung des Turms, für die ein Wert von 4,6 Prozent ermittelt wurde, während für die ursprüngliche Schräge von 2,3 Prozent ausgegangen wird.


WEITERE LASERSCANNERGESTÜTZTE MESS- UND ÜBERWACHUNGSVORHABEN

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Die Datenerfassung wurde anschließend auf andere Orte ausgeweitet. Auch viele weitere usbekische Städte, wie Buchara, Shahrisabz und Taschkent, verfügen über schützenswerte historische Strukturen. Darüber hinaus wurden auch in Samarkand zusätzliche Gebäude gescannt.

Shahrisabz befindet sich ewa 80 Kilometer südlich von Samarkand im Süden Usbekistans. Das gescannte Monument, die Kok-Gumbaz-Moschee mit ihrer blauen Kuppel, stammt aus der Zeit der Timuriden und zählt zum UNESCO-Welterbe. Die Moschee wurde 1437 errichtet und im Laufe der Jahrhunderte mehrfach restauriert und abgestützt.

Das historische Bauwerk wurde aus 13 verschiedenen Positionen mit einer Leica ScanStation C10 erfasst. Die Registrierung der Daten erfolgte in Cyclone. Die Messungenauigkeit aller für das abschließende Datenprodukt verwendeten Scans lag unter drei Millimetern. Das Gebäude wurde von außen sowie von innen im Hauptraum und in einem Treppenhaus mit einem großen Riss zwischen dem Portal und dem Hauptgebäude gescannt.
 
„Aufgrund des extremen Kontinentalklimas in Usbekistan benötigte das Forschungsteam absolut zuverlässige Messsysteme. Da die C10 für Temperaturbereiche von -20 °C bis +50 °C ausgelegt ist, bot sie sich für dieses Vorhaben geradezu an“, erinnert sich Brian Quigley, der Geschäftsführer von BNZ. „Außerdem gewährleistete das große Sichtfeld von 360° x 270°, dass beim Scannen der komplexen Oberflächen alle Details erfasst wurden, und es erleichterte den Forschern den Messvorgang.“

Die Punktwolke des Monuments wurde auf Anomalien untersucht. Beim Hauptportal wurde die Neigung ausgehend von einer vertikalen Ebene, die durch das Fundament der beiden Pfeiler gelegt wurde, geprüft. Die Neigung des Portals nimmt von Süden nach Norden zu. Dabei liegt der maximale Versatz bei 0,6 Meter in der oberen nördlichen Ecke. Um sicherzugehen, dass die Neigung stabil bleibt, wurde eine regelmäßige Überprüfung des Portals mittels Laserscanning empfohlen. Außerdem sollten Zielmarken angebracht werden, um die Überwachungsgenauigkeit zu erhöhen. Solche permanenten Zielmarken ermöglichen den direkten Vergleich zwischen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfassten Punktwolken.

Aus der Punktwolke wurde die Geometrie eines Finite- Elemente-Modells generiert. Alle größeren Fehlerstellen und vorhandenen Abstützungen wurden in die Geometrie des Modells aufgenommen. In der Spezialsoftware SAP2000 wurde eine numerische Modellierung und anschließende  Auswertung vorgenommen.
 
Da die Materialeigenschaften von Mauerwerk sehr unterschiedlich sein können, wurden an einem Ziegel des Bauwerks Werkstoffprüfungen durchgeführt. Die ermittelten Werkstoffeigenschaften wurden zur exakten Modellierung in der Software hinterlegt.

Das Minarett wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten gescannt um festzustellen, ob die Neigung zunimmt. Die ersten Scans erfolgten mit der ScanStation C10, während die zweite Punktwolke mit einer ScanStation aus der Modellreihe P erfasst wurde. Die erste Punktwolke wurde in der Cyclone-Software anhand der zweiten registriert. Die Neigungen wurden als Vektor auf jeder Höhe mit Richtung und Wert geschätzt. Bei diesen Daten kommt der wichtigste Vorteil der HDS-Technologie zum Tragen, die zahlreiche Oberflächenpunkte erfasst, welche auf andere Art nicht messbar sind.


HÖHERER SCHUTZ DURCH INTENSIVERE FORSCHUNG

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Die Messvorhaben weckten das Interesse der usbekischen Behörden, die für den Schutz von historischen Gebäuden verantwortlich sind und ihre Zusammenarbeit zusicherten. So wurden Genehmigungen für weitere Scans entlang der seismisch aktiven Zonen Usbekistans erteilt.

Auf der Basis von HDS-Scans in Kombination mit den Ergebnissen der Werkstoffprüfungen wurden komplexe kalibrierte Modelle erstellt, welche die Mauerwerkseigenschaften, den gegenwärtigen Zustand und frühere Maßnahmen zur Abstützung der Bauwerke berücksichtigten. Geplant ist eine langfristige strategische Überwachung und die Ableitung von Empfehlungen zur Restaurierung und Konservierung auf der Grundlage der Forschungsdaten einschließlich der Auswertung der Ergebnisse, die bei einer bis heute aktiv genutzten Moschee mit mehrfachen Schäden an der Bausubstanz durch den Einsatz von Dämpfungssystemen erzielt werden.

„Mittels Laserscanning können wir strukturelle Anomalien historischer Architekturdenkmäler erfassen, um ihren Fortbestand für künftige Generationen zu sichern“, ist Amir Gilani, der Leiter der Abteilung für erdbebensicheren Bau bei Miyamoto International, überzeugt. „Ohne diese hochentwickelte Technologie wäre es sehr schwierig, die Bestandsgeometrie dieser Monumente mit der Millimetergenauigkeit zu vermessen, die für statische Untersuchungen erforderlich ist.“

Die Arbeit des Teams und die Bedeutung der gesammelten Daten wurde durch deren Aufnahme in die CyArk-500-Challenge-Datenbank gewürdigt, die der Katalogisierung und Archivierung gefährdeter Kulturerbestätten weltweit dient.

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